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Yoga-Philosophie im Alltag: Ahamkara – Der Ich-Macher und seine Masken (Teil 4)

Aktualisiert: 1. Mai




Wer bin ich eigentlich?


Diese scheinbar einfache Frage ist in Wahrheit eine Tür zu einem tiefen philosophischen und spirituellen Feld. In der Yoga-Philosophie stoßen wir dabei unweigerlich auf einen inneren Akteur, der entscheidenden Einfluss darauf hat, wie wir uns selbst sehen: Ahamkara – der Ich-Macher, das Ego.


Was ist Ahamkara?

Ahamkara bedeutet wörtlich übersetzt "Ich-Tun" oder "Ich-Macher". Es ist jener Teil unseres Geistes (Antahkarana), der das Bewusstsein mit einem Ich-Gefühl versieht – der uns sagen lässt: „Das bin ich“ oder „Das gehört zu mir.“

Ahamkara ist nicht per se negativ. Ohne ihn wären wir gar nicht in der Lage, uns als eigenständiges Wesen wahrzunehmen und/oder in der Welt zu orientieren. Doch das Problem beginnt dort, wo Ahamkara meist unbewusst Identitäten erschafft, die wir dann mit unserem wahren Selbst verwechseln.


Ahamkara formt unsere Identität

Ahamkara ist Meister darin, Rollen und Selbstbilder zu erzeugen formen:

  • „Ich bin Yogalehrerin.“

  • „Ich bin Mutter/Vater.“

  • „Ich bin stark.“

  • „Ich bin jemand, der immer für andere da ist.“

  • „Ich bin nicht gut genug.“

  • "ich bin mehr, als andere aushalten können."


Diese inneren Überzeugungen – ob positiv oder negativ – verankern sich tief in unserem Selbstbild. Mit der Zeit machen wir sie zu unserer Persönlichkeit, halten sie für unser Wesen. Doch in Wahrheit sind sie Masken, die wir tragen, geformt aus Rollen, die wir spielen. Manche bewusst gewählt, viele jedoch unbewusst angenommen – geprägt von Erfahrungen, Erziehung, Gesellschaft, Trauma oder Wunsch nach Zugehörigkeit.

Du kannst das gut erkennen an den Masken, wo Du die Rolle nur eine zeitlang gespielt hast. Du hältst Dich nicht mehr für ein Baby, ein Kind, ein Teenager. Du hast die Rolle eine zeitlang gespielt, in dieser Zeit die entsprechende Maske getragen, hast die Rolle abgelegt und die zugehörige Maske auch. Daran kannst Du gut erkennen, dass Masken nicht Teil Deines Selbstes sind, sondern Teil der Rolle.


Wann Ahamkara uns dient

Vielleicht kannst Du es schon herauslesen: ich bin keine Verfechterin des Dvaita. Ich finde Ahamkara sinnvoll, um ein erfülltes Leben zu leben.

Denn ein gesundes Ego verleiht uns Stabilität, Orientierung und ein Gefühl von Individualität.In Balance hilft Ahamkara uns…

  • Verantwortung zu übernehmen („Ich bin bereit, diese Aufgabe zu tragen.“)

  • Entscheidungen zu treffen („Das entspricht meinem Weg.“)

  • Grenzen zu setzen („Das tut mir nicht gut.“)

  • Selbstwirksamkeit zu erleben („Ich kann etwas bewirken.“)

In diesem Zustand ist Ahamkara wie ein transparenter Rahmen: Er gibt Form, ohne zu beschränken. Er ermöglicht Ausdruck, ohne die Essenz zu verdecken.


Wann Ahamkara uns begrenzt

Doch Ahamkara klammert sich auch gern an Geschichten: an ihre Rollen und alles, was an ihnen hängt:Leid, Erfolg, Zugehörigkeit...

Dann…

  • identifizieren wir uns mit unseren Erfolgen – oder unseren Fehlern.

  • halten wir fest an einem Bild, das wir von uns selbst oder der Welt haben und verteidigen es mit aller Vehemenz, auch wenn dabei unendlich leiden.

  • reagieren wir verletzt, wenn jemand dieses Bild infrage stellt.

  • bauen wir Mauern auf, um unser Ich-Gefühl zu schützen.

Das Ego möchte kontrollieren, definieren, festhalten – weil es sich im Wandel unsicher und bedroht fühlt. Doch das Leben ist ständige Veränderung. Und so beginnt das Leid oft dort, wo Ahamkara sich gegen diese Veränderung stellt.


Ahamkara in der Yogapraxis beobachten

Yoga hilft uns nicht, das Ego zu „vernichten“(also, im Dvaita schon, siehe weiter oben, aber eben nicht dort, wo ich mich als Teil des Göttlichen sehe (Advaita Vedanta) – sondern es zu erkennen, zu durchschauen und zu integrieren. In der Praxis können wir Ahamkara zum Beispiel hier erleben:

  • Wenn wir stolz sind, eine Asana zu meistern – oder frustriert, wenn wir sie nicht schaffen.

  • Wenn wir uns mit anderen vergleichen.

  • Wenn wir unsere Yogapraxis als Teil unserer „spirituellen Identität“ zelebrieren.

  • Wenn wir uns ärgern, dass wir „unspirituell“ denken oder fühlen.

All das sind subtile Spiele des Egos – und alles Einladungen zur Bewusstwerdung.


Vom Ich zum Selbst

Yoga lehrt uns, dass wir mehr sind als all diese Rollen, Geschichten und Zuschreibungen.Hinter Ahamkara liegt das Selbst – Atman – das unveränderliche, stille, bewusste Sein, das, um seiner Vollständigkeit willen, nicht „jemand“ oder "etwas" sein muss.

Je klarer wir Ahamkara erkennen, desto weniger Macht hat es über uns. Und desto freier werden wir – in unserem Denken, Fühlen und Handeln.


Fazit

Ahamkara ist wie ein Künstler, der unablässig an einem Selbstporträt malt – mit den Farben unserer Erfahrungen, Ängste, Träume und Erinnerungen.Doch wir dürfen lernen, dem Künstler den Pinsel hin und wieder aus der Hand zu nehmen. Nicht, um ihn zu verurteilen – sondern um den Blick frei zu machen für das, was hinter dem Bild liegt. Und auch, um immer mal wieder die Leinwand auszutauschen. Welche Rolle will ich noch halten? Aus welcher bin ich herausgewachsen? Welche Maske, die damit in Verbindung steht, darf ich einfach ablegen? Was zählt für mich wirklich - Hier und Jetzt?

 
 
 

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